Kunst und Spiritualität

Geht es in der Spiritualität am Ende doch um Ähnliches wie in der Kunst? Nämlich nicht um Kunstwerke oder Kunststücke, sondern um innere Präsenz, um Gegenwärtigkeit und um Gewahrsein? Und geht es nicht auch um die Erfahrung von neuen inneren Räumen, um das Ungewohnte, das Nicht-Alltägliche, das Nicht-Wissen und um die Erfahrung einer Art Erweiterung unseres Bewußtseins?
In der spirituellen Praxis und im künstlerischen Prozess können sich neue Fragen auftun und es zeigen sich Ahnungen, Brüche, Bilder, überraschende Gedanken und Empfindungen, kurzlebige Emotionen und tiefe Seelenqualitäten. All dies wird in uns wach und zeigt sich im Feld unseres Bewußtseins. Es handelt sich um innere Bewegungen und Prozesse denen wir folgen können. Wir geben das Vertraute auf und Verlassen unsere Komfortzone. Diese innere Bewegung bringt zuweilen Irritationen und Orientierungslosigkeit mit sich, zugleich auch mehr Intensität, mehr Lebendigkeit und ein neues Verständnis von sich selbst und der Welt und daraus resultierend vielfältige Optionen.
Je nachdem, mit welcher innerer Haltung und mit wieviel Offenheit und Feingefühl Kunst entsteht oder auch rezipiert wird, kann es eine Art Berührungspunkt, eine tiefe Verwandtschaft zwischen der Gnade einer spirituellen Erfahrung und der Gnade des künstlerischen Schaffens geben. Nach der anfänglichen Bemühung, sich auf das Meditationskissen zu begeben oder mit der künstlerischen Arbeit anzufangen, beginnen sich innere Prozesse zu vollziehen. Das Erforschen, die Neugier und das sich Öffnen machen es möglich, dass etwas Neues geschehen kann. Dann wird es ein staunendes Zulassen, ein Erkennen, ein Finden und wir fühlen uns irgendwie geführt. Wir lösen uns von gewohnten kognitiven Denkgewohnheiten und Wahrnehmungsgewohnheiten – doch wer oder was übernimmt dann die Regie? Ist es das Herz, der Bauch, ein siebter Sinn oder etwas Numinoses, Universelles oder übernimmt das Sein selbst das Ruder?
Am Ende verkörpern wir die inneren Prozesse und Transformationen und bringen sie auf vielfältige Weise im Alltag ins Leben. Unsere Seele liebt die Poesie oder sie drückt sich gerne ohne Begrifflichkeit im Farben- und Formenspiel aus und natürlich auch durch Klänge in der Musik. All dies entsteht nicht auf der Basis von Anstrengung und eisernem Willen, sondern eher durch Hingabe. Wir vertrauen dem inneren Fluß und lassen uns führen. 
Es geht nicht mehr um ein Ziel oder um Funktion, eher um innere Berührung und um Wahrheit auf einer existentiellen Ebene.
Die Entwicklung einer echten und transformatorischen spirituellen Praxis braucht neben tiefer kontinuierlicher Präsenz und Wahrhaftigkeit auch die Fähigkeit zur Herzensöffnung. Wir sind mit Herz dabei und wir lieben was wir tun, auch wenn sich etwas anderes als das Erwünschte einstellt. Dies kann Kunstschaffende im kreativen Prozess unterstützen, weil sich dadurch neue Zugänge, Räume und Realitäten auf einer anderen Ebene erschließen. Dem Kunst-Rezipienten werden ebenfalls erweiterte, innere Erlebenswelten zugänglich und neue Sichtweisen möglich.

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